Warum fairer Wettbewerb etwas Gutes ist
Es ist schon eine Weile her, da bekam Michael Breitenfeld einen unerwarteten Anruf. Am anderen Ende der Leitung war ein alter Bekannter, den er längst aus den Augen verloren hatte. Gemeinsam hatten die beiden vor bald 40 Jahren Jus studiert, dann trennten sich ihre Wege. Breitenfeld gründete 1991 eine eigene Kanzlei in Wien, inzwischen lehrt er an der Universität und gilt als einer der besten Experten für Vergaberecht. Wer bei einer großen Ausschreibung sicherstellen will, dass wirklich alles wasserdicht über die Bühne geht, wendet sich an ihn.
Interessenskonflikte?
„Hallo Michi“, sagte der frühere Kommilitone. „Lass uns doch wieder einmal reden, ich lade dich ein.“ Breitenfeld dachte sich wenig dabei. Er ist es gewohnt, sich mit anderen Leuten in schicken Restaurants zu treffen. Einmal zahlt der eine, das nächste Mal der andere. Sein Bekannter hatte aber eine besonders exquisite Adresse ausgewählt, das Do&Co in Wien, gleich gegenüber dem Stephansdom. Schon eine kleine Suppe kostet dort 18 Euro. Bald nachdem die Kellner aufgetischt hatten, kam der Studienkollege zur Sache.
Breitenfeld betreue doch diese eine Ausschreibung für Bankdienstleistungen, ob man sich darüber unterhalten könne. Er vertrete einen der potenziellen Bieter. „So ein Depp“, sagt Breitenfeld. „Er hat wirklich geglaubt, dass er mich mit einem Essen im Do&Co kaufen kann.“
Der Anwalt fiel dem Bekannten ins Wort. Man könne gerne über die Familie reden und darüber, was sich in den letzten Jahren so getan habe. Aber wenn dieser noch einmal auf die Ausschreibung zu sprechen käme, würde er auf der Stelle aufstehen und gehen. Man plauderte noch ein wenig zum guten Essen, dann zahlten beide getrennt.
Zur Person
Michael Breitenfeld ist Rechtsanwalt in Wien und gehört zu den renommiertesten Vergabespezialisten des Landes.
Was sich gehört und was nicht
Breitenfeld erzählt die Geschichte gerne, wenn es um das Thema „Compliance“ geht. Darüber, was das bedeutet, gibt es Tausende Seiten lange Abhandlungen. Der Anwalt ist aber überzeugt davon, dass sich das Grundprinzip in einem Satz zusammenfassen lässt, den ihm einst sein Großvater mitgegeben hat: „Es gibt Dinge, die macht ein Gentleman einfach nicht.“ Compliance sei letztlich nur ein halbwegs intaktes Verständnis dafür, was sich gehört – und was nicht.
Die Regeln für Ausschreibungen der öffentlichen Hand haben sich in den letzten Jahren immer wieder verschärft – auch auf Druck der EU. Alle Entscheidungen müssen offengelegt werden und klar nachvollziehbar sein. Niemand darf beim Bieterverfahren benachteiligt werden.
Und am Ende muss das objektiv gesehen beste Angebot den Zuschlag bekommen – auch wenn der Auftraggeber damit nicht besonders glücklich ist. Man kann sich aussuchen, was man haben will. Nicht aber, wer am Ende liefert. Das entscheidet ein fairer Wettbewerb.
Es gibt Dinge, die macht ein Gentleman einfach nicht.
Oft fehlt die professionelle Begleitung
Was in der Theorie einfach klingt, ist in der Praxis eine gewaltige Herausforderung – nicht zuletzt für kleine und mittlere Gemeinden, die weder das eigene Know-how für eine besonders komplexe Ausschreibung haben noch das Budget für die professionelle Abwicklung durch eine auf Vergaberecht spezialisierte Kanzlei.
Breitenfelds Stundensatz dürfte für die meisten Gemeinden jenseits von Gut und Böse sein. So kommen vielfach Büros für Ziviltechnik zum Zug, die als externe Dienstleister sicherstellen sollen, dass bei der Vergabe alles mit rechten Dingen zugeht. Optimal sei das nicht, meint Breitenfeld: Denn deren Expertise sei zumeist technischer Art, mit den feinen juristischen Details des Vergaberechts seien die Ingenieurinnen und Ingenieure meist nicht so vertraut.
Und bei besonders individuellen Projekten käme auch die meist eingesetzte Vergabe-Software an ihre Grenzen: Die Algorithmen können nicht immer jeden Extrawunsch optimal berücksichtigen.
Meist spießt es sich an Formalfehlern
Graue Theorie, mag man einwenden. Bei den allermeisten Projekten im kommunalen Alltag handelt es sich um weitgehend überschaubare Aufträge, bei denen das Rad nicht neu erfunden werden muss. Man muss sicherstellen, dass die Spielregeln eingehalten werden und am Ende das Angebot mit dem besten Preis-Leistungs-
Verhältnis den Zuschlag bekommt. In den meisten Fällen läuft das reibungslos ab – ob der Vergabeprozess nun vom Gemeindeamt aus geführt wird oder über einen externen Dienstleister aus der Region.
Und trotzdem bleibt oft ein gewisses Unbehagen. Was, wenn ein unterlegener Bieter vor Gericht zieht? Wenn der Rechnungshof das ganze Prozedere auf Herz und Nieren prüft? Da geht es nicht darum, ob ein gewisser Anbieter bewusst bevorzugt und ein anderer ausgebootet wurde. „Bei der Nachprüfung entscheiden Gerichte zu nicht einmal 20 Prozent nach inhaltlichen Kriterien“, sagt Breitenfeld. In den meisten Fällen würden formale Fehler darüber entscheiden, ob eine Vergabe für rechtswidrig erklärt werde. Ein reines Gewissen schützt nicht vor einer Klage.
Nicht an der falschen Stelle sparen
Gerade also, wenn es um Prestigeprojekte geht, sollte man als Gemeinde nicht an der falschen Stelle sparen – nämlich bei der Abwicklung der Ausschreibung. Aus Gründen der Rechtssicherheit. Aber auch, um alle Möglichkeiten des Vergaberechts auszuschöpfen. Denn richtig gemacht, kann man mit einer professionellen Ausschreibung mit dem vorhandenen Budget mehr machen.
Davon kann der Bürgermeister der Stadtgemeinde Baden bei Wien erzählen. Der Kurort mit dem bekannten Casino ist in den letzten Jahren stark gewachsen, was zu einem steigenden Parkraumdruck geführt hat. Und weil Stadtchef Stefan Szirucsek nicht noch mehr wertvolle Bodenflächen versiegeln wollte, setzte er offensiv auf einen Ausbau des öffentlichen Verkehrs und der gemeinsam genutzten Elektromobilität.
Das Stadtbild ist inzwischen geprägt von zahlreichen E-Autos, E-Scootern und E-Bikes, die für ein moderates Entgelt bei Bedarf gemietet werden können. Ein Angebot, das nicht zuletzt von den zahlreichen Kurgästen gerne in Anspruch genommen wird. Sie kommen mit dem Zug und mieten sich vor Ort ein passendes Gefährt.
Zur Person
Stefan Szirucsek hat für Baden ein spektakuläres Mobilitätskonzept umgesetzt.
Rechtsabteilung fehlte das Know-how
Das Badener Mobilitätskonzept sucht in Österreich seinesgleichen. Und weil wenige Geschäftsbereiche derzeit so boomen wie die Elektromobilität, ist es kein Wunder, dass die Anbieter für Fahrzeuge und Infrastruktur Schlange standen. Im Rathaus war man schlicht überfordert. „Wir haben zwar eine Rechtsabteilung in der Stadt“, sagt Bürgermeister Szirucsek. „Aber das Verfahren war doch komplexer und umfangreicher als gedacht.“ Und langsam zeigte sich auch, dass die Stadtgemeinde kaum in der Lage sein würde, die neue Elektroflotte wirtschaftlich zu führen. Man suchte also nicht nur nach den besten E-Bikes und -Rollern. Sondern auch nach einem Unternehmen, das in der Lage war, diese im Sinne der Gemeinde optimal zu vermieten.
Wer aber sollte die notwendigen Aufträge vergeben? Im Badener Rathaus kontaktierte man dazu mehrere Rechtsanwaltskanzleien. Zum Zug kam schließlich die auf solche Fälle spezialisierte Schramm Öhler Rechtsanwälte GmbH. Während Bürgermeister Szirucsek zunächst nur an eine Rahmenvereinbarung mit einem Dienstleister dachte, ging er schließlich auf anwaltlichen Rat einen Schritt weiter: Die Stadtgemeinde Baden vergab eine Dienstleistungskonzession, bei der ein privater Betreiber das gesamte unternehmerische Risiko trägt. Nur die Spielregeln werden von der Kommune vorgegeben.
Wir haben eine Rechtsabteilung in der Stadt. Aber das Verfahren war komplexer und umfangreicher als gedacht.
Rechtssicherheit für die Stadt
Aus Sicht der Kurstadt hat das viele Vorteile. Zum einen wäre die Gemeinde selbst wohl kaum in der Lage gewesen, den grünen Fuhrpark wirtschaftlich zu führen. Zum anderen musste sie sich so nicht mit der Frage herumschlagen, welche elektrischen Fahrräder, Roller oder Autos angeschafft werden. Oder wie man das Angebot der Nachfrage anpasst: Woher sollen die Beamtinnen und Beamten im Rathaus etwa wissen, wie viele E-Bikes angeschafft werden müssen – damit sie einerseits jederzeit verfügbar sind und trotzdem nicht zu lange sinnlos in der Gegend herumstehen? Ein privater Betreiber kann hier weit einfacher nachschärfen und den Bestand flexibel erhöhen oder reduzieren.
Und noch einen riesigen Vorteil hat die neue Lösung. Die Gemeinde ist, was die Frage der Rechtssicherheit bei den hochkomplexen Vergabe- und Beschaffungsverfahren betrifft, aus dem Schneider. Die Verantwortung trägt nun ein privates Unternehmen. Das betrifft nicht zuletzt die gefürchteten Überprüfungen durch den Rechnungshof.
Das neue Modell wird selten genutzt
All das klingt bestechend einfach und verlockend. Warum aber greifen nicht mehr Gemeinde auf ähnliche Modelle zurück? Antwort: Weil sie noch weitgehend unbekannt sind. Erst vor fünf Jahren hat der Gesetzgeber Gemeinden das Recht eingeräumt, Konzessionen zu vergeben. Richtig eingesetzt, lassen sich so große und außergewöhnliche Projekte mit mehr als überschaubarem Risiko umsetzen. Man muss nur wissen wie. Und dieses Know-how fehlt in den allermeisten Gemeinden.
Also lässt man in den meisten Amtsstuben eher die Finger von solchen Modellen. Auch Bürgermeister Szirucsek hatte ein solches nicht am Radar, ehe er sich professionelle Expertise holte. Die Investition hat sich für Baden mehr als gelohnt. Und möglicherweise profitiert die ganze Region: Denn das neue Modell kann recht problemlos von anderen Kommunen übernommen werden. „Wir haben bewusst so offen ausgeschrieben, dass das Projekt, sofern eine Nachbargemeinde Interesse hat, jederzeit erweitert werden kann“, sagt Szirucsek.
Möglich wurde das durch das viel gescholtene neue Bundesvergabegesetz. Keine Frage: Im kommunalen Alltag hat sich dadurch bei Ausschreibungen allerhand verkompliziert. Die verschärften Spielregeln binden in den Gemeindestuben Ressourcen und sorgen nicht selten für Frustration. Aber wenn man die Idee des freien Wettbewerbs nicht nur als Belastung, sondern auch als Chance begreift, eröffnen sich viele neue Möglichkeiten. Nicht zuletzt, weil eine Gemeinde am Ende mehr für ihr Geld bekommt.
Ich wette um 1.000 Euro, dass ich einen zweiten Bieter finde.
Es gibt immer mehr als einen Bieter
Das ist eines der Hauptargumente des Vergaberechtsexperten Breitenfeld. Es gebe, kritisiert er, bei öffentlichen Vergaben in Österreich immer noch manchmal eine gewisse Art von „Gutsherrenmentalität“, den Wunsch, aus dem Bauch-gefühl heraus zu entscheiden. Aber das kann nicht nur zu ernsthaften juristischen Problemen führen. Ein eingeschränkter Wettbewerb schade auch der Sache. Manchmal führt der Rechtsanwalt dazu heftige Diskussionen. Etwa wenn jemand beteuert, dass es für ein bestimmtes Projekt nur einen einzigen Anbieter gebe. Dann schlägt Breitenfeld gerne eine Wette vor: „Ich setze 1.000 Euro darauf, dass ich einen zweiten finde.“
Damit, meint er, sei die Diskussion in der Regel beendet. „Es hat noch nie jemand von einer öffentlichen Stelle dagegengehalten.“