Mit der neuen Südbahn werden in Unterkärnten die Karten neu gemischt.
© Adobe Stock
MANAGEMENT

Wenn die Weichen für die Zukunft gestellt werden

Was Führung bedeutet, zeigt sich, wenn viel auf dem Spiel steht. Etwa dass der Intercity künftig in Kühnsdorf hält. Dass in St. Paul nicht noch mehr Boden versiegelt wird. Oder dass es keine faulen Kompromisse bei der Bauordnung gibt. Drei Bürgermeister erzählen, wie sie bei besonders schwierigen Herausforderungen Führung zeigen.
von  Wolfgang Rössler , 4. September 2023

Wenn alles nach Plan läuft, dann soll in vier Jahren der erste superschnelle Zug vom Wiener Hauptbahnhof Richtung Italien anrollen. Die neue Südbahn – eines der größten Infrastrukturprojekte der letzten Jahrzehnte – ermöglicht Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 230 Stundenkilometern. Möglich wird das durch den Semmering-
Basistunnel und die neue Koralmbahn zwischen Graz und Klagenfurt. Eine knappe Stunde soll die Fahrzeit zwischen den beiden Landeshauptstädten in Zukunft dauern. Wer dann noch das Auto nimmt, ist selber schuld.

Für Eberndorf steht viel auf dem Spiel

Die neue Südbahn wird aber nicht nur unsere Mobilität verändern. Sie wird auch zu einem Boom in der Grenzregion zwischen Kärnten und der Steiermark führen. Ein leistbares Eigenheim im Jauntal und ein gut bezahlter Job in Graz? Noch ist das kaum vorstellbar. Aber mit den schnellen Zügen könnte man pendeln. Die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in der Region rechnen schon jetzt damit, dass die Bevölkerung mittelfristig um gut ein Drittel wachsen wird. Bloß: In welchen Gemeinden werden sich die Leute ansiedeln?

Bleibt der schnelle Zug stehen?

Die Weichen dafür werden in den kommenden Monaten gestellt. Noch vor Weihnachten soll sich entscheiden, ob Intercity-Züge künftig in Kühnsdorf, einer Ortschaft der Gemeinde Eberndorf, halten werden. Aus Sicht der ÖBB ist das nicht unbedingt notwendig. Die Fahrzeiten sind auf Minuten getaktet, jeder Zwischenstopp kostet Zeit.

Für den Eberndorfer Bürgermeister Wolfgang Stefitz geht es hingegen um die Zukunft seiner Gemeinde. Die lebt vom Tourismus. Und auch der Erfolg des geplanten interkommunalen Gewerbeparks hängt davon ab, ob die schnellen Züge künftig stehen bleiben. Oder ob sie einfach in Windeseile durchrauschen. „Wir stehen vor gewaltigen Herausforderungen, die wir in sehr kurzer Zeit stemmen müssen“, sagt Stefitz. „Was jetzt entschieden wird, hat für die nächsten hundert Jahre Bestand.“

Zur Person

Wolfgang Stefitz ist Bürgermeister von Eberndorf in Unterkärnten. Er kämpft darum, dass Intercityzüge künftig in seiner Gemeinde halten.

Gemeinden führt man anders als Firmen

Der Bürgermeister kämpft. Er hat Allianzen geschmiedet: mit allen anderen Parteien im Gemeinderat, mit den Nachbargemeinden, mit der Landesregierung in Klagenfurt und mit Wirtschaftstreibenden. Jetzt geht es darum, Führung zu zeigen. Zu tun, was möglich ist – auch wenn es am Ende keine Garantie dafür gibt, dass der Kampf Erfolg haben wird.

Stefitz ist noch ein ziemlich junger Bürgermeister, auch wenn er nicht mehr ganz jung an Jahren ist. Der gelernte Fleischermeister verkauft seit bald drei Jahrzehnten österreichweit Schinkenspezialitäten und Bratwürste, er hat eine Reihe von Auszeichnungen für seine Delikatessen bekommen. Als erfolgreicher Unternehmer wagte er schließlich den Sprung in die Kommunalpolitik, seit etwas mehr als zwei Jahren ist er Bürgermeister.

Die Spielregeln der Hohen Politik

Aber ein Unternehmen groß zu machen ist eine Sache. Eine Gemeinde zu führen eine andere. Wenn der Firmenchef Stefitz früher Gespräche mit möglichen Kooperationspartnern führte, dann wusste er recht bald, was Sache ist: Sein Gegenüber war berechenbar, man wusste ganz gut, worauf es dem jeweils anderen ankommt. Aber in der Politik gelten andere Spielregeln, erst recht, wenn man es mit der Landes- und Bundesebene zu tun hat. „Man kommt aus einer Besprechung und ist überzeugt, dass es gut aussieht“, erzählt Stefitz. „Aber ein paar Monate später ist alles anders.“ Und die Gründe dafür sind nicht immer nachvollziehbar.

Man kommt aus einer Besprechung, es sieht gut aus. Ein paar Monate später ist dann alles ganz anders.

Wolfgang Stefitz, Bürgermeister Eberndorf

Für die ÖBB zählen nur die Minuten

Da wären die ÖBB, das staatliche Eisenbahnunternehmen. Die neue Südbahn soll Teil einer europäischen Schienenverbindung sein, die von Danzig bis Bologna reicht: Mehr als 1.600 Kilometer vom Nordosten des Kontinents bis weit in den Süden. Um jeden Bahnhof, an dem die schnellen Züge halten, wird gefeilscht. Auch die ÖBB müssen sich gegenüber ihren Partnerunternehmen in anderen EU-Ländern rechtfertigen.

Die zuständige Verkehrsministerin Leonore Gewessler könnte ein Machtwort sprechen. Aber auch wenn sie persönlich Verständnis für die Nöte einer Kärntner Marktgemeinde mit knapp 6.000 Einwohnerinnen und Einwohnern haben mag: Ihre Aufgabe ist es, für schnelle Mobilität zu sorgen. Die wirtschaftlichen Interessen jener Gemeinden, durch die die schnellen Züge fahren, sind da nachrangig.

Mit bis zu 230 Stundenkilometer sollen die Züge bald durch Unterkärnten brausen. Foto: ÖBB/KK

Die Direktverbindung entscheidet

Tatsache ist auch: Wenn der Fahrplan für die schnellen Intercity-Züge einmal festgelegt ist, lässt er sich kaum noch ändern. Bis Ende des Jahres wird in Wien eine Entscheidung getroffen, die über Eberndorfs Zukunft entscheidet. Darüber, ob sich im Gewerbepark Firmen ansiedeln, die sich mit einer schnellen Zugverbindung in die Ballungsräume ködern lassen. Ob kurz entschlossene Urlauberinnen und Urlauber ihre Unterkünfte bald in Eberndorf buchen werden. Oder doch lieber in einer anderen Gemeinde, die per Zug ohne Umsteigen aus den großen Städten erreichbar ist.

Die Entscheidung darüber fällt bei den meisten Online-Reservierungen völlig nüchtern innerhalb weniger Minuten. Klopeiner See oder Wörthersee? Darüber machen sich viele keine großen Gedanken.

Alle Parteien ziehen an einem Strang

Führen heißt für Stefitz: tun, was möglich ist. Schon sein Vorgänger hat sich mit den Amtskolleginnen und Amtskollegen aus den Nachbar­gemeinden zusammengeschlossen. Gemeinsam formulierte man eine Petition an die Verantwortlichen auf Bundesebene. Letztlich war es nur ein Zeichen: Wir stehen zusammen. Der neue Gemeindechef hat nun die Allianz ausgebaut. Im Gemeinderat ziehen alle Parteien an einem Strang.

Auch die Bevölkerung steht geschlossen hinter dem Bürgermeister. „Wir haben doch einiges bewegen können“, sagt er. Auch der zuständige Landesrat in Klagenfurt, Sebastian Schuschnig, unterstützt den Bürgermeister. Dass er von der ÖVP kommt und Stefitz ein Sozialdemokrat ist, spielt da keine Rolle. Alle Nationalratsabgeordneten aus der Region setzen sich für Eberndorf ein – egal von welcher Partei. Auch die zuständigen Bediensteten des Gemeindeamtes werden nicht müde, bei Meetings mit ÖBB-Verantwortlichen für den Bahnhof Kühnsdorf zu werben. Führung, das bedeutet für Stefitz auch: gemeinsame Interessen auszuloten, Allianzen zu schmieden und voranzugehen.

Das erste Teilstück der Koralmbahn wird  schon bald in Betrieb genommen.
Das erste Teilstück der Koralmbahn wird schon bald in Betrieb genommen.

Nach dem Hochwasser wurde evakuiert

Sein Amtskollege Stefan Salzmann im knapp 30 Kilometer entfernten St. Paul im Lavanttal steht vor anderen Herausforderungen. Dass die schnellen Züge in seiner Marktgemeinde halten werden, ist bereits beschlossene Sache. St. Paul – ziemlich genau auf halbem Weg zwischen Klagenfurt und Graz – wird in den kommenden Jahren und Jahrzehnten stark wachsen, so viel steht fest. Bloß wie? Die Gemeinde mit dem berühmten Stiftskloster aus dem 11. Jahrhundert wurde von den Hochwassern im August besonders schlimm heimgesucht.

Zeitweilig drohte ein Rückhaltebecken zu brechen, mehrere Dutzend Haushalte mussten evakuiert werden. Dann bangte man um das Kloster, weil der Hang unter dem markanten Turm ins Rutschen geraten war. Am Ende ging alles gut aus. Aber Salzmann macht sich keine Illusionen: „Natürlich hängt das mit dem Klimawandel zusammen“, sagt er. Mit Unwettern wie dem letzten müsse man in Zukunft rechnen und es sei keineswegs sicher, dass man auch das nächste Mal mit einem blauen Auge davonkommt.

Zur Person

Stefan Salzmann, Bürgermeister von St. Paul im Lavanttal, sagt der Bodenversiegelung den Kampf an. Das gefällt nicht allen im Ort.

Neuer Wohnraum nur durch Verdichtung

Salzmann investiert viel in Hochwasserschutz. Aber solange weiterhin Grünflächen in Bauland umgewidmet werden, reicht das nicht. Die Bodenversiegelung ist ein zentrales Problem in St. Paul. Und mit dem zu erwartenden Bevölkerungswachstum steigt der Druck auf den Bürgermeister, bei Umwidmung großzügig zu sein. Doch das kommt für Salzmann nicht infrage: Neuer Wohnraum soll durch Verdichtung entstehen, Punkt.

Auch der 40-jährige Salzmann ist erst seit wenigen Jahren Bürgermeister. Im Gegensatz zu seinem Amtskollegen in Eberndorf kann er nicht auf die vorbehaltlose Unterstützung seitens der Gemeinde pochen. Mit der Umwidmung von Grünflächen in Bauland steigt angesichts der positiven Zukunftsaussichten deren Wert, der Druck auf den Bürgermeister ist enorm. Kann man mit dem Kampf gegen die Bodenversiegelung Wahlen gewinnen? Salzmann überlegt kurz. „Das weiß ich nicht“, sagt er. „Aber wenn ich abgewählt werde, dann habe ich trotzdem das Richtige getan.“ Auch das ist Führung: Die eigenen politischen Interessen hinter das Wohl der Allgemeinheit zu stellen.

Wenn ich abgewählt werde, dann habe ich trotzdem das Richtige getan.

Stefan Salzmann, Bürgermeister

Geradlinigkeit wird belohnt

Salzmann versteht sich als Bürgermeister einer neuen Generation. Auch er war in den letzten zwei Jahrzehnten in der Privatwirtschaft erfolgreich, dann wollte er politische Verantwortung übernehmen. Finanziell hat sich das kaum gelohnt, aber darum geht es ihm nicht. Er ist überzeugt davon, das Richtige zu tun. Und die Wahrscheinlichkeit, dass das bei den nächsten Wahlen auch honoriert wird, ist groß. Denn die meisten Wählerinnen und Wähler schätzen politische Geradlinigkeit – selbst wenn sie mit einer Entscheidung unzufrieden sind.

Das ist jedenfalls die Erfahrung von Helmut Mödlhammer. Der frühere Gemeindebund-
Präsident und langjährige Bürgermeister der Salzburger Gemeinde Hallwang hat der Bevölkerung schon vor Jahrzehnten allerhand zugemutet. Nachdem er zum ersten Mal gewählt wurde, ernannte er eine Vizebürgermeisterin. Aus heutiger Sicht schwer vorstellbar, aber: „Vor 30 Jahren war das in Salzburg revolutionär“, sagt Mödlhammer.

Zur Person

Helmut Mödlhammer ist Altbürgermeister von Hallwang und früherer Präsident des Gemeindebundes.

Eine Vizebürgermeisterin? Protest

Soll heißen: „Es gab einen mittleren Aufstand.“ Und damit noch nicht genug, brach der damals junge Bürgermeister auch mit anderen Usancen. Schon in den ersten Jahren ließ er zwei neue Gebäude wieder abtragen, weil sie größer waren als erlaubt. Auch bei Umwidmungen achtete er darauf, dass die gesetzlichen Spielregeln auf Punkt und Beistrich eingehalten wurden.

Einmal musste die Polizei wochenlang vor dem Gemeindeamt Wache stehen, weil ein enttäuschter Bauwerber gedroht hatte, den Bürgermeister umzubringen. „Das war eigentlich ein tragischer Fall“, sagt Mödlhammer. Der Mann hatte offensichtlich psychische Probleme. Aber auch sonst musste er mit heftigem Gegenwind umgehen. „Die schwierigsten Entscheidungen sind jene, bei denen es um menschliche Schicksale geht“, sagt er. Wenn etwa eine Umwidmung der Gemeinde entscheidend für die Zukunft ist. Mödlhammer zögerte auch nicht, Bekannten die rote Karte zu zeigen. „Man muss abwägen, mutig entscheiden und diese Entscheidung dann auch durchstehen“, sagt er im Nachhinein. Eine Gemeinde zu führen heißt auch, sich seiner Sache sicher zu sein. Man muss zu sich und seinen Werten stehen.

Fehler zugeben zeugt von Stärke

Was nicht ausschließt, dass man klüger werden kann. Weil die Einwände der anderen nüchtern betrachtet eine gewisse Berechtigung haben. Weil es eine bessere Lösung gibt. Oder weil man sich bei einer Sache tatsächlich verrannt hat. „Fehler einzugestehen ist keine Schwäche, sondern eine Stärke“, sagt Mödlhammer. Gegen Ende seiner Amtszeit pflegte er in seinen Reden gerne selbstkritische Worte einzuflechten: „Wenn ich mich einmal geirrt oder eine falsche Entscheidung getroffen habe, bitte ich alle Beteiligten um Entschuldigung.“

Das, meint Mödlhammer, seien stets die Stellen gewesen, bei denen es am meisten Applaus gegeben habe. Auch starke Führungspersönlichkeiten sind am Ende nur Menschen. Wer das nicht verleugnet, sondern offen damit umgeht, gewinnt nicht nur die Stimmen der Menschen. Sondern auch ihre Herzen.

Was sich durch die schnelle Eisenbahn ändert

  • Südbahn neu. Noch fahren die Züge eine halbe Ewigkeit: Vier Stunden dauert die Fahrt von Wien bis Klagenfurt. Künftig soll die Fahrt von Bahnhof zu Bahnhof aber nur noch rund 2,5 Stunden dauern.
  • Neue Teilstrecken. Der Semmering-Basistunnel wird die Fahrt nach Graz ab 2027 um eine Dreiviertelstunde verkürzen. Von dort ist man mit der Koralmbahn in einer guten Stunde in Klagenfurt.
  • Aufschwung. Die Attraktivität der bisher beschaulichen Region entlang der Koralmbahn wird enorm steigen. Man rechnet mit einem massiven Anstieg der Bevölkerung und dem Zuzug vieler Firmen.
  • Herausforderungen. Viele Chancen, viele Herausforderungen. Bestehendes Bauland ist knapp und Bodenversiegelung ein ernstes Problem.