Die hohe Lebensqualität ist in vielen Gemeinden gegen Widerstände erkämpft
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REPORT

Wer hoch hinaus will, braucht einen starken Willen

Wer das Ortsbild einer Gemeinde gestalten will, muss mit Gegenwind rechnen – egal wie vernünftig eine neue Lösung sein mag. Die beiden Bürgermeister Peter Eisenschenk und Herbert Gaggl erzählen, wie sie ihre kühnen Ideen am Ende doch durchsetzen konnten.
von  Wolfgang Rössler , 2. Dezember 2023

Peter Eisenschenk ist ein höflicher, zurückhaltender Mensch, der seine Worte mit Bedacht wählt. Gerne verweist er im Gespräch auf die vielen Bücher, die er gelesen hat: über den Klimawandel und andere große Fragen der Menschheit. Manchmal macht er beim Sprechen längere Pausen, um nachzudenken. Die Phrase „Ich will“ kommt ihm selten über die Lippen. Vielleicht liegt es auch daran, dass ihn viele gerne unterschätzen.

Mehr Grün im Zentrum

Bloß: Den Fehler sollte man beim Bürgermeister von Tulln an der Donau nicht machen. Eisenschenk weiß ziemlich genau, was er will. Und in den meisten Fällen setzt er sich damit durch – gegen alle Widerstände. Zuletzt etwa, als der frühere Wirtschaftsjournalist und Lehrer den Nibelungenplatz im Zentrum der Kleinstadt unweit von Wien völlig neu umgestalten wollte.

In den Jahren zuvor war Tulln immer grüner und menschenfreundlicher geworden: Die zuvor etwas vernachlässigte Donaulände wurde zum städtischen Naherholungsgebiet ausgebaut, mit einem ausgeklügelten Arrangement von Blumen und Sträuchern und einer Treppe zum Wasser – für den Fall, dass im Sommer jemand dort baden möchte. Der öffentliche Verkehr wurde ausgebaut, versiegelte Flächen wurden durchlässig gemacht. Nur der Platz im Zentrum blieb schmucklos. Eine große Fläche aus Asphalt und Beton; gemacht für Autos, weniger für Menschen.

Große Pläne. Zu groß für manche

Der Nibelungenplatz war Eisenschenk ein Dorn im Auge. Er träumte groß: Von einer parkartigen Anlage mit vielfältigen Sitzgelegenheiten, Sportanlagen, einem fixen Ausstellungsort für Künstlerinnen und Künstler sowie vielen Ladestationen für elektrische Fahrzeuge. Erst konnte er die anderen Parteien im Gemeinderat durchaus dafür begeistern. Doch je konkreter das Projekt wurde, desto größer wurde der Widerstand. „Viel zu teuer“, lautete die Kritik. Irgendwann zeichnete sich ab, dass er keine Mehrheit hatte. Allenfalls für eine Schmalspurvariante um einen Bruchteil des ursprünglich veranschlagten Budgets.

Zur Person

Peter Eisenschenk ist seit 2009 Bürgermeister von Tulln an der Donau.

Man muss dazusagen, dass Tulln an der Donau eine durchaus wohlhabende Stadt ist. Die Nähe zu Wien macht sich bezahlt, vor einigen Jahren hat sich eine Fachhochschule in Tulln angesiedelt, die wiederum eine ganze Reihe von erfolgreichen Firmen im Bereich der Biotechnologie angezogen hat. Tulln konnte sich die aufwendige Umgestaltung des Nibelungenplatzes leisten. Die anderen Parteien waren nur der Meinung, dass man das Geld lieber für etwas anderes verwenden sollte. Doch Eisenschenk blieb hart.

Bloß keine faulen Kompromisse

Erst startete er einen Bürgerbeteiligungsprozess, bei dem nicht weniger als 1.000 konkrete Ideen gesammelt wurden. Diese mündeten schließlich in drei möglichen Plänen: eine Minimalvariante, wie von der Opposition gewünscht; eine Kompromisslösung; und dann noch die große Variante, für die sich Eisenschenk aussprach.

Am Ende stimmte die Bevölkerung darüber ab. Und Eisenschenk hatte die Stimmung richtig eingeschätzt: Mehr als 60 Prozent votierten für sein Projekt. Im Frühjahr rollten die ersten Bagger an, kommendes Jahr soll der Nibelungen­platz im neuen Glanz erscheinen – als weiteres Schmuck­stück der kleinen Donaumetropole, die sich in den letzten Jahren zur „Gartenhauptstadt“ gemausert hat. „Beim Ortsbild braucht man einen starken Willen und ein klares Bekenntnis“, sagt Eisenschenk.

Von faulen Kompromissen hält er nichts – erst recht nicht, wenn es um Entscheidungen geht, die das Erscheinungsbild der Gemeinde auf Jahrzehnte prägen. Da wartet er lieber ab, bis sich eine günstige Gelegenheit ergibt.

Schließlich haben wir doch einen Betreiber gefunden, der auf unsere Bedingungen einging.

Peter Eisenschenk, Bürgermeister Tulln

Etwa als sich 2009, zu Beginn seiner Amtszeit, die Frage nach der Weiternutzung des ehemaligen Rathauses im Stadtzentrum stellte. Ein paar Jahre zuvor war die Stadtverwaltung in ein anderes Gebäude übersiedelt, das Rathaus stand leer und drohte zu verwahrlosen. Weil es um die städtischen Finanzen zu dieser Zeit nicht allzu gut bestellt war, stieg der Druck, das Haus zu verkaufen.

Kein Verkauf ohne Wenn und Aber

Bloß: An wen? Interessenten gab es zwar einige. Allerdings hatte sich herumgesprochen, dass die Stadt Geld brauchte. „Wenn die Gegenseite merkt, dass man schnell verkaufen will, kommen Angebote, die an der Grenze des Seriösen liegen“, sagt der Bürgermeister. Er bewies Nerven und setzte auf Zeit. Seine Bedingung: Im einstigen Rathaus sollte es künftig einen Veranstaltungssaal geben, dazu dringend benötigte neue Wohnungen und – auf ausdrücklichen Wunsch der Bevölkerung – neben anderen Geschäften eine H&M-Filiale.

Das waren gleich drei Wünsche auf einmal. Und alle drei wurden letztlich erfüllt. „Wir haben schließlich tatsächlich einen Betreiber gefunden, der auf unsere Bedingungen eingegangen ist“, sagt Eisenschenk. Heute ist im ehemaligen Rathaus das „Danubium“ untergebracht – eine erfolgreiche und weit über die Bezirksgrenzen hinaus bekannte Kabarettbühne. Auch der Betreiber bereut es nicht, dass er auf die Forderungen des Stadtchefs eingegangen ist.

Es lohnt sich zu warten

Eisenschenks Fazit: Es lohnt sich zu warten. Das zeigte sich auch, als ein weiteres Gebäude im städtischen Besitz frei wurde. Die örtliche Feuerwehrschule war an den Stadtrand übersiedelt, ihr altes Refugium wurde aufgelassen und stand leer. Das schöne alte Haus im Stadtzentrum war begehrt. Aber wieder knüpfte Eisenschenk an den Verkauf eine Bedingung: „Wir haben darauf bestanden, dass dort ein Stadthotel entsteht.“ Eine Weile schien es so, als ob sich das Stadtoberhaupt diesmal verzockt hätte.

Aber dann meldete sich doch ein Interessent. „Es gab zähe Verhandlungen. Aber am Ende haben wir bekommen, was wir wollten“, sagt Eisenschenk. Die Mischung aus Risikobereitschaft und Hartnäckigkeit hat sich bezahlt gemacht. Heute ist das elegante „Best Western Hotel“ aus dem Stadtbild kaum noch wegzudenken.

Die Gartenhauptstadt Tulln ist besonders fahrradfreundlich

Die Saat geht oft erst nach Jahren auf

„Think big“, denke groß: Das ist auch die Devise des Bürgermeisters von Moosburg in Kärnten. Herbert Gaggl hat dieses Amt seit mehr als drei Jahrzehnten inne. „Ich bin wie ein Bauer“, sagt er. „Man muss den Boden aufreißen und Körner einsetzen. Und dann warten, bis sie nach dem Regen aufgehen.“ In Moosburg ist in den letzten Jahren tatsächlich einiges aufgegangen. Aus dem früheren Durchfahrtsort zwischen Feldkirchen und Klagenfurt wurde eine pulsierende „Bildungsgemeinde“, die viele kreative Geister anzieht.

Möglich wurde das durch eine Grundsatzentscheidung, die Gaggl bald nach seinem Amtsantritt getroffen hat: jene für die Wiederbelebung des Ortskerns. Das soziale Leben sollte sich wieder im Zentrum abspielen, nicht an den Rändern. Der ersten großen Herausforderung stellte sich der neu gewählte Bürgermeister Anfang der Neunzigerjahre. Damals sollte ein Supermarkt an der Peripherie gebaut werden.

Den Kaufvertrag gab es bereits, auch die Widmungen. Aber der Bürgermeister legte sich quer und scheute auch vor einem Rechtsstreit mit dem Betreiber des Supermarkts nicht zurück. Er setzte sich durch. Die Billa-Filiale steht nun am Ortseingang, neben einem Seniorenheim, nur wenige Gehminuten vom Gemeindeamt entfernt. „Diese Entscheidung war ein Meilenstein, ohne den wir heute vermutlich kein richtiges Dorfzentrum hätten. Wenn erst einmal der Nahversorger weg ist aus dem Dorf, wird die ganze Energie abgesaugt“, sagt Gaggl.

Zur Person

Herbert Gaggl ist seit mehr als 30 Jahren Bürgermeister von Moosburg.

Alle wichtigen Wege lassen sich zu Fuß erledigen: In ein paar Minuten erreicht man den Supermarkt, Postpartner, Gastronomieeinrichtungen, eine Apotheke, die Polizei und das Gemeindeamt. Seine Pläne setzte Gaggl über längere Zeiträume hinweg um. Oft wartete er Jahre auf die richtige Gelegenheit: wenn ein Gebäude zum Verkauf stand oder sich eine besonders gute Fördersituation ergab.

Aber auch Herbert Gaggl ist der Erfolg nicht in den Schoß gefallen. Wie sein Amtskollege Peter Eisenschenk musste auch er den einen oder anderen Strauß ausfechten: mit anderen Parteien, Unternehmen oder Bürgerinitiativen. „Es braucht Mut für unpopuläre Maßnahmen, die möglicherweise erst nach mehreren Legislaturperioden populär werden“, sagt er. Sein Fazit: „Ohne Brösel geht es nicht.“ 

Mehr davon? Gern, wir hören uns

 

Peter Eisenschenk und Herbert Gaggl sind die ersten Studiogäste im Podcast von „Bürgermeister Zeitung“ und „Kommunal“. In dem neuen Format kommen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister nun besonders ausführlich zu Wort.

Für den Tullner Bürgermeister Peter Eisenschenk ist Klimaschutz mehr als nur ein politisches Ziel. Er geht auch selbst mit gutem Beispiel voran. Wo es nur irgendwie geht, nimmt er statt dem Auto das Fahrrad. Und such zur Aufnahme des ersten Kommunal.Podcast von BÜRGERMEISTER Zeitung und „Kommunal“ kam er mit dem Zug ins Studio nach Wien. Dort schilderte er ausführlich, wie es ihm gelungen ist, Tulln in den letzten 14 Jahren zur Vorzeigegemeinde in Sachen Ökologie zu machen – und ganz nebenbei zur Gartenhauptstadt Österreichs.

Man muss nicht viel um den heißen Brei herumreden. Das Vertrauen in die Politik ist in den letzten Jahren allgemein gesunken. Zahlreiche Studien und Umfragen zeigen aber auch: Die höchste Wertschätzung wird immer noch der Kommunalpolitik entgegengebracht. 2.093 Gemeinden gibt es in Österreich, die meisten von ihnen haben weniger als 5.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Man kennt einander dort und die Parteien pflegen in aller Regel einen konstruktiveren Umgang miteinander – bei allen Gegensätzen. Wohl auch deshalb sind die Kommunen ein unerschöpfliches Reservoir für neue, oft auch unkonventionelle politische Zugänge und Lösungen. 


Angetrieben werden diese von den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern, deren Leistungen, Gestaltungs- und Tatkraft in der Öffentlichkeit viel zu selten gewürdigt werden. Auch deshalb haben wir uns dazu entschlossen, sie stärker vor den Vorhang zu holen.

In der zweiten Folge kommt der Bürgermeister von Moosburg zu Wort. Herbert Gaggl, nach mehr als drei Jahrzehnten im Amt ein – im besten Sinne des Wortes – alter Hase, erzählt darin, wie er aus Moosburg eine vielfach ausgezeichnete Vorzeigegemeinde in Sachen Ortsbild und Lebensqualität gemacht hat.