Bäume steigern die Lebensqualität auf vielfältige Art
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SCHWAMMPRINZIP

Wie Bäume vor Hochwasser schützen können

Wenn sich ihr Wurzelwerk richtig entfalten kann, sind Bäume enorme Wasserspeicher, die Über­schwemmungen verhindern können. Das „Schwammprinzip“ ist noch dazu viel günstiger als aufwendige Rohrsysteme oder gar Flussregulierungen.
von  Wolfgang Rössler , 7. Dezember 2021

Als vor drei Jahren ein heftiges Unwetter Graz überraschte und binnen weniger Stunden so viel Regen herunterprasselte wie sonst in einigen Monaten, kam es in der ganzen Stadt zu Überschwemmungen. Nur in der Eggenberger Allee versickerte das Wasser rasch. Das neue, nachhaltige Konzept mit vielen Bäumen hatte die erste Starkregenprobe bestanden.

Hochwasserschutz ohne teure Flussregulierung

Verantwortlich für die Umgestaltung war das Wiener Landschaftsplanungsbüro 3 : 0. Daniel Zimmermann, einer der drei Inhaber des Unternehmens, gehört zu den wortmächtigsten Fürsprechern des „Schwammprinzips“: Dabei dienen Bäume mit ihrem weitverzweigten Wurzelwerk als Flüssigkeitsspeicher. Sie saugen wie ein Schwamm große Mengen an Wasser auf und verhindern so, dass es überläuft. Zimmermann ist überzeugt, dass sein Modell nicht nur ökologischer ist als andere Lösungen zur Hochwasserprävention, sondern auch deutlich günstiger, weil im Idealfall die Regulierung von Flüssen oder Bächen entfällt und auch die Aufwendungen für Rohrsysteme geringer ausfallen. „Ich kann durch die richtigen landschaftsplanerischen Maßnahmen einen lokalen Hochwasserschutz umsetzen, ohne Millionen von Euro für eine Flussregulierung in die Hand nehmen zu müssen“, behauptet er.

Ich kann mit Bäumen Hochwasserschutz umsetzen, ohne Millionen in die Hand zu nehmen.

Daniel Zimmermann, Architekt

In Fachkreisen ist oft von der Schwammstadt die Rede. „Aber das Prinzip ist auf jeden besiedelten Raum übertragbar“, sagt Zimmermann. Das Wurzelwerk eines gesunden Baumes, dem im Erdreich keine künstlichen Grenzen gesetzt werden, ist ebenso weit verzweigt wie seine Krone. Entsprechend saugfähig ist es – auch wenn es wie verrückt regnet.

 

Wetterextreme nehmen zu

Und das kommt immer öfter vor. Der Klimawandel bringt eine deutliche Häufung von Wetterextremen mit sich – und damit auch Starkregen. Selbst Gemeinden, in denen es früher über Generationen keine Überschwemmung mehr gegeben hat, sind nun betroffen. Dazu kommt die vermehrte Hitze im Sommer, die auch über Nacht bleibt und sich zunehmend staut. Das ist besonders für ältere Menschen, Kranke und Kinder eine nicht zu unterschätzende Belastung. Hier spielt der kühlende Schatten der Bäume eine wichtige Rolle.

Allerdings: Mit dem Pflanzen von ein paar neuen Bäumen irgendwo im Dorf ist es nicht getan. Am Anfang steht wie so oft eine grundlegende Analyse, wo die heiklen Plätze in einer Gemeinde sind. Das sind zum einen Orte, wo sich die Schwächeren der Gesellschaft aufhalten, die besonders unter der Hitze leiden: Kindergärten, Volksschulen, Seniorenheime. Auch öffentliche Plätze im Ortskern sind im Hochsommer oft wie ausgestorben, weil die Sonne dort besonders gnadenlos herunterknallt. Und dann gibt es natürlich die Plätze, die besonders anfällig für Hochwasser oder andere Gefahren durch Starkregen sind: weil es einen Bach gibt oder ein starkes Gefälle. Dort lohnt es sich genauer hinzusehen – idealerweise mit der fachlichen Expertise eines Landschaftsplaners.

Bäume brauchen Platz

Denn das fachgerechte Pflanzen eines Baumes mag zwar keine Kunst sein. Gewisse Kenntnisse verlangt es allemal. Schließlich muss sichergestellt sein, dass sich die Wurzeln auch wirklich entfalten können. „Sonst beginnt der Baum nach 20 bis 25 Jahren zu kränkeln“, warnt Experte Zimmermann. Und das ist ungefähr das Alter, in dem der Baum erst richtig erwachsen wird. Dann erst entfaltet er seine vollen Fähigkeiten als Wasser- und Hitzespeicher.

Wenn die Wurzeln nicht ausreichend Platz haben, beginnt der Baum nach 25 Jahren zu kränkeln.

Daniel Zimmermann, Architekt

In die Mulde soll Material aus der Region

Die Mulde muss also ungefähr so groß sein wie die Krone, die der Baum einmal haben wird. Mit einem kleinen Loch im Boden ist es nicht getan, auch wenn das für ein kleines Bäumchen scheinbar ausreichend ist. Hier muss ein Bagger zum Einsatz kommen, eine Schaufel allein reicht nicht. Die Baumgrube wird dann mit einer Mischung aus grobem Schotter, Kompost und Pflanzenkohle gefüllt. „Da sollten Materialien aus der Region sein“, empfiehlt Zimmermann.

Auch die Wahl der Bäume ist wichtig. Angesichts der sich abzeichnenden weiteren Erwärmung muss es eine besonders hitzebeständige Art sein, die zugleich über ein dichtes Blätterwerk verfügt. Der Baum muss zukunftsfähig sein und auch überleben können, wenn sich das Klima verändert. Zimmermann nennt etwa die Silberlinde (auch bekannt als ungarische Linde), den bosnischen Ahorn und den Zürgelbaum – übrigens lauter Arten, die schon seit Jahrhunderten in unseren Breitengraden als Straßenbäume zum Einsatz kommen.

Alte Baumriesen unbedingt schützen

Freilich: Jeder Baum ist besser als kein Baum. Und das gilt erst recht für besonders alte, die zugegebenermaßen oft Probleme machen. Man fürchtet Sachschäden oder gar Verletzungen durch abgebrochene Äste, aus Angst vor Haftungsfällen werden 60, 70 Jahre alte Bäume oft vorschnell umgeschnitten. Das mag in ganz bestimmten Einzelfällen beim besten Willen nicht zu vermeiden sein. Aber angesichts der enormen Leistung dieser alten Riesen als Wasserspeicher und Hitzeschutz sollte es auf jeden Fall die allerletzte Lösung sein.

Das Prinzip der Schwammgemeinde

  • Wasserspeicher. Die Wurzeln eines Baumes können enorme Mengen an Wasser speichern. Zugleich kühlt das Blätterdach  an heißen Sommertagen. Bäume sind die Antwort auf Extremregen und Hitze – zwei Begleiterscheinungen des Klimawandels.
  • Verzweigtes Wurzelwerk. Bei einem intakten Baum ist das Wurzelwerk so groß wie die Krone. Durch die zunehmende Verdichtung des Bodens haben viele Bäume aber zu wenig Platz und beginnen nach 25 Jahren zu kränkeln – bevor sie ihr Potenzial voll entfalten können.
  • Richtige Mulde. Das Loch für den neuen Baum soll so groß sein wie seine künftige Krone. Es wird mit einer Mischung aus grobem Gestein, Kompost und Pflanzenkohle gefüllt.
  • Der richtige Baum. Angesichts der zu erwartenden Erwärmung empfehlen sich Baumarten wie die Silberlinde, der bosnische Ahorn oder der Zürgelbaum.
  • Alten Bestand wahren. Auch wenn Sie mitunter Probleme machen, sollten alte Bäume nach Möglichkeit nicht umgeschnitten werden. Es würde Jahrzehnte dauern, bis ein neuer Baum eine ähnliche Wirkung entfaltet.