Wer Bewusstsein für Nachhaltigkeit schaffen will, sollte schon bei den Kleinsten anfangen
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BEWUSSTSEINSBILDUNG

Wie man Menschen wieder für die Natur begeistert

Der Journalist und Herausgeber Thomas Weber ist ein Influencer in Sachen Nachhaltigkeit. Wie schafft er es, Interesse für ein Thema zu wecken, das auf den ersten Blick langweilig wirkt? Sein Rat: Nicht belehren, Geschichten erzählen.
von  Wolfgang Rössler , 15. November 2023

Wenn sich Thomas Weber aus seiner kleinen Siedlung im Marchfeld auf den Weg zum Bahnhof macht, biegt er nach ein paar Minuten in den Hamsterweg ein. „Warum heißt der so?“, fragt der Herausgeber des Magazins „Biorama“. Er wohnt seit einer kleinen Ewigkeit in der Gegend, aber ein Hamster ist ihm hier noch nie über den Weg gelaufen. Auch den anderen Leuten im Ort nicht. Aber der Name kommt gewiss nicht von irgendwoher.

Es muss eine Zeit gegeben haben, als sich genau an diesem Platz besonders viele von den kleinen Nagern getummelt haben. Vielleicht gibt es im Altersheim noch ein paar Leute, die davon erzählen können. „Jetzt jedenfalls ist der Hamster weg“, sagt Weber launig. Insofern sei der Straßenname ja durchaus korrekt.

Zur Person

Thomas Weber ist Journalist und Herausgeber des Magazins „Biorama“. www.biorama.eu

Bewusstsein schaffen für Nachhaltigkeit

Der Mittvierziger hat vor 26 Jahren in Wien The Gap mitaufgebaut, ein Musikmagazin, das den urbanen Lifestyle der späten 1990er-Jahre aufsog. Dessen Führung hat der Familienvater schon vor geraumer Zeit abgegeben, er ist jetzt verantwortlich für „Biorama“, eine Zeitschrift, die sich mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigt – vorwiegend aus ländlicher Sicht. Und das obwohl die meisten Leserinnen und Leser seines Magazins in Wien oder Berlin leben.

Er ist ein Mittler zwischen den Welten: Weber versucht eine Brücke zu schlagen zwischen Großstadt und Land –weil er in beiden Lebenswelten zu Hause ist. Auch deshalb weiß er ganz gut, wie man das Interesse von Leuten weckt. Wie man sie dazu bringt, sich mit neuen Ideen zu beschäftigen. Mit anderen Worten: wie man Bewusstsein schafft. Etwa dafür, dass die natürlichen Ressourcen begrenzt sind und die Menschheit – will sie späteren Generationen ein halbwegs gutes Leben ermöglichen – nicht umhin kommt, zu einem gesünderen Umgang mit der Natur zu finden.

Belehrungen bringen nichts

Weber ist ein Influencer der Nachhaltigkeit. Wie arbeitet er? Was kann man von ihm lernen, wenn man als Bürgermeisterin oder Bürgermeister einer kleineren Gemeinde am Land bei der Bevölkerung dafür wirbt, etwas umsichtiger mit der Natur umzugehen? Von Belehrungen hält der Journalist jedenfalls herzlich wenig. Schon kleine Kinder lernen, die Ohren auf Durchzug zu stellen, wenn die Eltern zu einer Moralpredigt ansetzen. Wie sollen sie dann als Erwachsene darauf ansprechen?

Man muss die Leute dazu bringen, Dinge zu hinterfragen.

Thomas Weber, Herausgeber Biorama

Gewissheiten hinterfragen

„Man muss die Leute dazu bringen, Dinge zu hinterfragen“, sagt er. „Und das geht am besten, indem man Geschichten erzählt.“ Etwa jene von den Hamstern, die früher neben seinem Haus heimisch waren, ehe ihr Lebensraum von Baggern und Straßenwalzen zerstört wurde. Oder die Sache mit „Jenga“, einem Geschicklichkeitsspiel, bei dem es darum geht, hölzerne Bauklötze übereinander zu einem Turm zu stapeln. Dann zieht man einen Klotz nach dem anderen heraus. Eine Weile geht das gut, der Turm bleibt stehen. Aber irgendwann bricht er in sich zusammen.

„Als ich das zum ersten Mal gespielt habe, habe ich das Prinzip der Biodiversität verstanden“, sagt Weber. Wenn ein paar Arten aussterben, ist das kein großes Problem für das natürliche Gleichgewicht. Aber irgendwann kollabiert es. Wann es so weit ist, lässt sich aber nicht im Vorhinein prognostizieren. Da sind zu viele Unwägbarkeiten im Spiel.

Wer Bewusstsein für die Natur schaffen will, muss Interesse wecken.

Wo aber setzt man an? „Bei den Kindern“, ist der dreifache Vater überzeugt. „Das ist ein entscheidender Anknüpfungspunkt.“ Und zwar, indem man ihnen zeigt, was möglich ist. Durch Gärten in Kindergärten und Volksschulen, die gemeinsam bepflanzt werden. „Es geht ums Erleben und Ausprobieren“, sagt er. Darum, Interesse zu wecken für Nahrungsmittel, die selbst geerntet und nicht im Supermarkt gekauft werden, tiefgefroren oder in einer verschweißten Zellophanhülle. Das eigene Gemüse hat noch einen anderen Vorteil: Es schmeckt besser. „Das Tolle an Nachhaltigkeit ist, dass sie oft mit Genuss verbunden ist“, sagt Weber. Achtsamkeit wird belohnt.

Friedhof als Naturoase

Er hat aber noch eine Fülle anderer Ideen, wie man Biodiversität in einer Gemeinde besser sichtbar machen kann. Etwa auf Friedhöfen. Auf Friedhöfen? „Ja“, sagt Weber. Das seien in der Regel besonders naturbelassene Areale, weil niemand auf die Idee käme, dort Nutzpflanzen auszusetzen. „Daher braucht es dort auch wirk-lich keine chemischen Dünger oder Pestizide“, sagt er. So könnten sie zu einem Rückzugsort für viele Insekten werden. „Friedhöfe gehören zu den artenreichsten Lebens-räumen, die es bei uns gibt. Es sind vielseitig strukturierte Grünflächen.“

Was spreche dagegen, dort das eine oder andere Insektenhotel zu errichten – etwa für Wildbienen? „Nebenbei bemerkt sind das insgesamt gewaltige Flächen. Würde man alle Friedhöfe zusammenlegen, ergäbe das vermutlich den größten Nationalpark des Landes.“ Noch dazu haben die Besucherinnen und Besucher der Gräber in der Regel Zeit, sich mit der Natur zu beschäftigen. Vielleicht sind manche insgeheim ganz froh über die Möglichkeit. Warum also nicht die letzte Ruhestätte der Toten zu einer Oase für die Tier- und Pflanzenwelt zu machen?

Mündliche Überlieferung der Alten spielt eine große Rolle.

Thomas Weber

Entscheidend sei es aber auch, bewusst Leute mit ins Boot zu holen, die viel zum Thema Biodiversität zu sagen haben – selbst wenn sie diesen Begriff nicht verwenden oder gar nicht kennen. Oft sind das die Dorfältesten, die sich noch erinnern können, wo ein vor vielen Jahrzehnten stillgelegter Tümpel war, welche Pflanzen schon lange verschwunden sind oder wie sich der Wald verändert hat. „Diese mündliche Überlieferung spielt eine große Rolle, wenn man sich mit dem Thema Biodiversität ernsthaft beschäftigt“, sagt Weber. Auch Bäuerinnen und Bauern können in der  Regel zu dem Thema viel beitragen, ebenso Jägerinnen und Jäger. „Sie beobachten naturgemäß und können daher viel über natürliche Kreisläufe erzählen.“

Öko-Botschafter der Gemeinde

Und natürlich gibt es in fast jeder Gemeinde auch andere, die sich mit dem ökologischen Gleichgewicht stark beschäftigen: Lehrer, Biologinnen, Naturfreunde: „Auch in einem kleinen Ort gibt es viel mehr Know-how, als man vielleicht denkt“, sagt Weber. Es gelte diese Leute mit ins Boot zu holen, sie zu Öko-Botschaftern in der Gemeinde zu machen.

Selbst am Land, meint Weber, sei viel Wissen über die Natur verloren gegangen. „Viele können eine Drossel nicht von einem Fink unterscheiden.“ Auch wenn sich das geändert habe: „Während der Corona-Lockdowns ist die Zahl der Vogelkundler gestiegen.“ In Ermangelung anderer Aktivitäten haben sich die Leute ein Fernglas geschnappt. Interesse ist vorhanden. Das sollte man nützen.