In unsicheren Zeiten sollte man jeden Euro zwei Mal umdrehen.
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INTERVIEW

Worauf es beim nächsten Budget besonders ankommt

Peter Pilz und Andreas Schlögl von BDO Österreich beraten Gemeinden in Hinblick auf eine stabile Haushaltsführung. Ihr wichtigster Ratschlag in der jetzigen Lage: genau hinsehen beim Budget, auch wenn es unangenehm werden könnte.
von  Reiner Gebers , 11. Oktober 2022
Wie stark werden die Gemeinden in absehbarer Zeit von der Inflation getroffen werden?
​​​​​​​PETER PILZ

Die Gemeinden spüren das ja schon länger. Die Preissteigerungen haben schon vor geraumer Zeit bei den Baukosten angefangen. Wir hören immer wieder aus den Gemeinden, dass Projekte abgesagt oder verschoben werden mussten. Und dieses Problem wird uns wohl noch die nächsten ein bis eineinhalb Jahre beschäftigen – auch wenn ich aus der Baubranche höre, dass sich die Situation etwas entschärfen kann und die Kosten wieder leicht nach unten gehen können. Und zwar schlicht deshalb, weil die Nachfrage sinkt. Dennoch fehlt vielen Gemeinden die Planungssicherheit: Konkrete Angebote werden nur in Hinblick auf die Arbeitsleistung abgegeben, bei Material verweisen die Firmen auf die Tagespreise. Das ist schon jetzt für viele Gemeinden ein massiver Kostentreiber.

Zur Person

Der gebürtige Steirer Peter Pilz ist Steuerberater, Gesellschafter bei BDO Österreich und Schriftleiter des Magazins RFG.

Lassen sich die Kostensteigerungen beziffern?
PETER PILZ

Wir sprechen von Steigerungen in der Höhe von bis zu 50 Prozent. In manchen Fällen gibt es sogar eine Verdoppelung. Und das bei den hohen Investitionssummen: Alleine die Sanierung eines Straßenstücks kann bald einmal 100.000 Euro kosten, ganz zu schweigen von den Millionenbeträgen für den Bau eines neuen Amtshauses oder etwa eines Kindergartens.

ANDREAS SCHLÖGL

Bei den derzeitigen Lohnverhandlungen mit den Metallern ist von einem Plus in der Höhe von 10,6 Prozent die Rede. Am Ende müssen sich die Gemeinden also vermutlich auf eine inflationsbedingte Erhöhung der Personalkosten in der Höhe von bis zu zehn Prozent einstellen.

Zur Person

Andreas Schlögl von BDO Österreich ist Landwirt, Obmann einer Genossenschaft und Experte für das Management von Körperschaften öffentlichen Rechts.

Dem stehen derzeit noch höhere Einnahmen gegenüber. Wie lange können die Gemeinden damit noch kalkulieren?
PETER PILZ

Solange wir eine Inflation haben und die Wirtschaft sich weiterhin positiv entwickelt, sieht es gut aus. Das sorgt für sprudelnde Steuereinnahmen, die über Ertragsanteile auch den Gemeinden zugute kommen. Durch die höheren Personalkosten zahlen örtliche Unternehmen auch mehr Kommunalsteuer: Ein Plus von zehn Prozent bei Gehältern bedeutet ebenso hohe Steigerungen bei der Kommunalsteuer.

Das kann aber schnell kippen, oder?

Es gibt mehrere Risikofaktoren: In Deutschland wird von einer Rezession gesprochen, das könnte auf uns überschwappen. Dazu kommt die Frage, welche weiteren Entlastungsmaßnahmen zur Inflationsbekämpfung der Bund setzt und ob die Gemeinden über den Finanzausgleich womöglich mitzahlen müssen. Dann besteht noch die Gefahr, dass die Inflation zu großen Insolvenzen führt. Das kann die Gemeinden auch ganz direkt treffen, etwa wenn die Kommunalsteuer eines ansässigen Unternehmens wegbricht. Ein weiteres Damoklesschwert ist Kurzarbeit, wie wir sie während der Pandemie erlebt haben: Dann fällt bei ansässigen Unternehmen die Kommunalsteuer auch weg.

In Deutschland wird von einer Rezession gesprochen, das könnte auf uns überschwappen.

Peter Pilz, BDO
Obwohl die massiven Kostensteigerungen durch Mehreinnahmen derzeit gedämpft werden, ist die Situation für Gemeinden momentan also brandgefährlich.
PETER PILZ

Ja. Wir merken das daran, dass sich bei uns die Anfragen von Gemeinden häufen: für Haushaltsanalysen oder Haushaltskonsolidierungen. Das ist ein deutliches Anzeichen dafür, dass es enger wird, dass große Unsicherheit herrscht.

Was ist momentan Ihr wichtigster Ratschlag an Bürgermeisterinnen und Bürgermeister?
PETER PILZ

In unsicheren Zeiten wie diesen muss man den Fokus noch stärker auf die Finanzen legen, sich ansehen: Wo stehen wir, wo sind die Risiken? Grundsätzlich sinnvoll ist immer eine Sensitivitätsanalyse, gerade für Gemeinden, die jetzt schon auf der Nulllinie fahren oder vielleicht gar im Minus sind.

Was kann man sich darunter vorstellen?
PETER PILZ

Im Wesentlichen macht man eine Analyse des Haushalts mit mehreren Varianten der Teuerung. Ich rechne durch, was Mehrausgaben in der Höhe von fünf, acht oder zehn Prozent bedeuten. Dann weiß ich, ab wann das System kippt. Dieses Durchspielen von verschiedenen Szenarien ist wichtig, um herauszufinden, was jetzt zu tun ist, damit die Gemeinde in jedem Fall handlungsfähig bleibt.

Was kann man denn zum Beispiel tun?
PETER PILZ

Neben der Inflation werden wir bald auch deutlich steigende Zinsen sehen. Und das ist für jene Gemeinden gefährlich, die bei ihren Finanzierungen einen hohen Anteil an variablen Zinsen haben. Hier würde ich als Bürgermeister ehrlich gesagt langsam nervös werden und mir eine gute Beratung holen. Man muss wissen: Bis zu welcher Erhöhung des Zinssatzes halte ich das als Gemeinde aus?

Sie raten zum Umstieg auf Fixverzinsung?
PETER PILZ

So einfach lässt sich die Frage nicht beantworten. Vielleicht kann man zumindest einen Teil davon switchen. Ganz grundsätzlich lässt sich aber auch sagen: Wenn viele mit dem Gedanken spielen, aus einem variablen Zinssatz auszusteigen, ist es meist ohnehin schon zu spät. Natürlich ist es heute teurer als noch vor einem halben Jahr.

Wer bei der Finanzierung einen hohen Anteil von variablen Zinsen hat, sollte jetzt vielleicht langsam nervös werden.

Peter Pilz, BDO
Aber möglicherweise billiger als in einem halben Jahr.
PETER PILZ

Da halte ich mich mit einer Prognose zurück. Wichtig ist, dass sich eine Gemeinde selbst eine Meinung zur Zinsentwicklung macht und dann das Risiko durchspielt: Wenn man weiß, dass man bei einem Zinssatz von sechs Prozent ein echtes Problem hat und zu der Einschätzung gelangt, dass es in die Richtung geht, dann sollte ich vielleicht in den sauren Apfel beißen und auf einen Zinssatz von zwei oder drei Prozent umsteigen. Wenn meine Gemeinde notfalls auch Zinsen in der Höhe von bis zu acht Prozent aushalten würde – was wirklich unwahrscheinlich ist –, dann kann ich bei den variablen Zinsen bleiben. Es geht um Risikominimierung und Ausgewogenheit.

ANDREAS SCHLÖGL

Mein Ratschlag ist, die mittelfristige Finanzplanung herzunehmen und ein wenig herumzuspielen: Was halte ich als Gemeinde aus, wo sind die Kipppunkte? Das ist besonders wichtig in Hinblick auf die Erstellung des Voranschlags für 2023 in den kommenden Wochen. Hier ist es sinnvoll, nach Einsparungsmöglichkeiten zu suchen. Da sollte man sich alle Voranschlagsstellen im Detail ansehen und hinter-fragen: Brauchen wir das wirklich? Was lässt sich reduzieren oder streichen, um finanzielle Spielräume für später zu finden?

Die Baukosten könnten demnächst leicht sinken.
Ist es sinnvoll, jetzt Gebühren anzuheben?
ANDREAS SCHLÖGL

Das ist ein zweischneidiges Schwert. Die Bevölkerung ist schon jetzt mit Teuerungen in beinahe allen Bereichen konfrontiert, die Leute kämpfen mit den höheren Kosten des täglichen Lebens. Ich sehe sogar die Gefahr, dass die Gemeinden früher oder später mit Ausfällen rechnen müssen, weil die Menschen nicht pünktlich oder vielleicht gar nicht zahlen können. Von diesem Problem höre ich jetzt schon oft, wenn ich in Gemeinden unterwegs bin. Dazu kommt, dass man in der Gemeinde mit sozialen Verwerfungen besonders stark konfrontiert ist: Wenn ich in einer Gemeindewohnung lebe und mir die Miete nicht mehr leisten kann, werde ich mich vermutlich direkt an den Bürgermeister oder die Bürgermeisterin wenden: „Kannst du mir nicht etwas nachlassen oder kann ich wenigstens später zahlen?“ Hier kommt auf die Gemeinden noch einiges zu und die Armutsgefährdung wird sicher noch ein großes Thema werden.

Es gibt also praktisch keine Gewissheiten?
PETER PILZ

Die Gemeinden fahren jetzt auf Sicht, praktisch im Nebel. Umso wichtiger ist es jetzt, die Finanzen im Blick zu haben, um zu wissen, wann es eng werden könnte. Wenn die Gemeinde womöglich ihre Raten nicht mehr zahlen kann.

Und dann braucht man einen Plan B.
PETER PILZ

Es ist wichtig, jetzt schon mögliche Einsparungspotenziale zusammenzutragen. Alle werden ohnehin nicht immer umgesetzt, weil das ja auch eine Frage der politischen Willensbildung ist. Aber man sollte als Bürgermeisterin oder Bürgermeister jetzt schon wissen, welche Ausgaben im Ernstfall gestrichen werden können und welche nicht. Es gibt viele Gemeinden, wo ein solches Maßnahmenpaket bereits in der Schublade liegt. Dass die Umsetzung politisch alles andere als angenehm wäre, versteht sich von selbst.

Abgesehen von den hohen Baukosten: Ist es momentan klug, größere Investitionen zu tätigen? Oder sollte man sie besser ohnehin verschieben, bis die Zeiten besser werden?
PETER PILZ

Eine generelle Antwort auf die Frage kann ich nicht geben. Es hängt auch davon ab, wie das Projekt finanziert ist: Je höher der Anteil an Förderungen und Bedarfszuweisungen ist, desto eher würde ich zum Investieren raten. Und wenn das Projekt schon vorangeschritten ist, stellt sich die Frage, ob es überhaupt beendet werden kann: Bevor man den Bau stoppt, sollte man auf jeden Fall einen Experten zu Rate ziehen, um nicht in eine vergaberechtliche Falle zu tappen: Sonst könnte am Ende eine böse Kosten-Überraschung drohen.

Aber grundsätzlich ist es kein Fehler, Großbauprojekte, die demnächst anlaufen sollten, zu überdenken.
ANDREAS SCHLÖGL

Sicher nicht. Man sollte auch genau hinsehen, wo die Risiken sein könnten. Am besten, indem man rechtzeitig Experten dazuholt. Denn letztlich gibt es fast kein großes Projekt ohne eine Baukostenüberschreitung.

PETER PILZ

Trotzdem möchte ich Gemeinden, die es sich leisten können, jetzt nicht animieren, sich zurückzuhalten. Wenn man es sich gut leisten kann, zu bauen: ja. Je enger es finanziell wird, desto vorsichtiger wäre ich. Man darf auch nicht vergessen, dass die Kommunen in Summe der größte Investor in Österreich sind. Wenn der stockt, kommt die Bauwirtschaft massiv unter Druck. Das kann zu einer gefährlichen Abwärtsspirale führen.

Die Energiewende sollte auch weiterhin oben auf der Agenda stehen.
Würden Sie Gemeinden raten, jetzt Maßnahmen zur Energiewende zu setzen – auch wenn es finanziell eng wird?
PETER PILZ

Ja, aus zwei Gründen. Es ist eine finanzielle Investition, die mittelfristig beim Sparen hilft. Und es ist gut für das Klima.

Also auf jeden Fall besser ein Photovoltaikpark am Ortsrand oder ein Windpark als ein neues Hallenbad oder ein Kreisverkehr?
PETER PILZ

Das lässt sich so nicht pauschal sagen. Aber grundsätzlich sollte alles, was zur Energiewende beiträgt, eher auf der Agenda bleiben. Wenn sich die Situation ergibt, dass etwas jetzt mit hohen Mehrkosten bestellt werden müsste, kann man die Maßnahme immer noch um ein Jahr verschieben. Es wäre aber sehr schade, wenn eine Gemeinde bei einem finanziellen Engpass fünf von zehn geplanten Projekten streicht und Klimaprojekte nicht auf der Liste der verbleibenden Vorhaben blieben.

Zum Abschluss: Sehen Sie in der momentanen Situation auch eine Chance für die Zukunft?
SCHLÖGL

Auf jeden Fall. Weil Themen wie Nachhaltigkeit, der sorgsame Umgang mit der Umwelt und auch Fragen des Zusammenlebens in den Vordergrund rücken. Man merkt, es geht in die richtige Richtung: Die Gemeinden schaffen neue Strukturen, sie möchten bei der Energie unabhängiger werden und so viel wie möglich selbst machen.

PETER PILZ

Das sehe ich genauso. In jeder Krise steckt eine Chance. In diesem Fall ist es sicherlich die Beschäftigung mit dem Thema Nachhaltigkeit. Man fragt sich vermehrt: Brauche ich das wirklich? Vieles Gewohnte wird hinterfragt. Kann das Geld dafür nicht sinnvoller für eine nachhaltige Zukunft investiert werden?