Die beschauliche Gemeinde St. Paul im Lavanttal wird in den kommenden Jahren boomen
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REPORT

Die WEICHEN für die Zukunft sind gestellt

Die schnelle Südbahn stellt in St. Paul im Lavanttal alles auf den Kopf. Bis 2035 soll die Bevölkerung um 40 Prozent wachsen. Bürgermeister Stefan Salzmann will den Wandel gestalten.
von  Wolfgang Rössler , 5. Februar 2025

Am 14. Dezember 2025 wird der erste schnelle Zug den Bahnhof St. Paul im Lavanttal verlassen und bald darauf im Dunkel des rund 33 Kilometer langen Koralmtunnels verschwinden. Dann ist es endlich so weit und die neue Bahnverbindung zwischen Villach und Graz wird regulär in Betrieb genommen. Es ist nicht weniger als ein Jahrhundertprojekt, dessen Abschluss in St. Paul – einer der wichtigsten Zwischenstationen auf der Strecke – gebührend gefeiert werden soll.

Die beiden Landeshauptmänner von Kärnten und der Steiermark werden da sein, Bürgermeister Stefan Salzmann sowieso. Er ist in den letzten Jahren zu einem der wichtigsten politischen Akteure der Region geworden. Eigentlich, meint Salzmann, hat er drei Vollzeitjobs. Er muss eine Gemeinde mit derzeit rund 3.100 Einwohnerinnen und Einwohnern verwalten. Er muss ein kommunalpolitisches Megaprojekt vorantreiben. Und er muss dauernd auf Achse sein, um sich mit anderen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern aus der Region abzustimmen. Wenn der erste Railjet abgefahren ist und sich die Ehrengäste wieder auf den Heimweg machen, geht für ihn die Arbeit erst richtig los. „Wir werden symbolisch eine Schaufel in die Erde stecken“, sagt er.

Zur Person

Bürgermeister Stefan Salzmann führt eine Gemeinde im Aufbruch.

Ein Dorf wird zum Ballungsraum

Wer heute mit den ÖBB von Klagenfurt nach Graz fährt, braucht gute Nerven. Zwei Stunden braucht der Zug bis Bruck an der Mur, dann heißt es aussteigen und warten auf die nächste Verbindung in die steirische Landeshauptstadt. Das dauert dann noch einmal eine gute halbe Stunde. Wer sich diese Mühsal schon einmal angetan hat, versteht, warum die neue Direktverbindung durch den Koralmtunnel ein echter Gamechanger ist. Eine gute Stunde braucht der Railjet für die Strecke.

St. Paul ist also von beiden Landeshauptstädten knapp 30 Minuten entfernt. Und damit wird die bisher noch recht beschauliche Landgemeinde mit dem berühmten Benediktinerstift zu einem begehrten Wohnort für Pendlerinnen und Pendler. St. Paul wird in Zukunft enorm wachsen: Konservative Schätzungen gehen davon aus, dass dort in zehn Jahren gut 5.000 Menschen leben werden – gut 40 Prozent mehr als jetzt. „Wir werden zu einer Speckgürtelgemeinde“, sagt Salzmann.

Zukunft gestalten

Jetzt hat der Bürgermeister alle Hände voll zu tun, damit diese Transformation möglichst geschmeidig vonstatten geht. „Wir gestalten die Zukunft“, meint der Bürgermeister. Er weiß: Nun werden in seiner Gemeinde die Weichen für die kommenden hundert Jahre gestellt. Auch deshalb ist er ein besonders gefragter Gesprächspartner für alle, die sich mit dem Thema Raumplanung beschäftigen. Immer wieder kommen Forschende und Studierende nach St. Paul, um sich vor Ort ein Bild zu machen, wie eine Transformation in dieser Größenordnung gelingen kann.

Eine Region erwacht

Und Bürgermeister Salzmann spricht nicht nur für seine eigene Gemeinde. Der Wandel erfasst die ganze Region. Mittelfristig wird zwischen Villach und Graz ein Großraum mit gut 1,1 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern entstehen. Salzmann agiert nicht nur in enger Abstimmung mit den Verantwortlichen in den Nachbargemeinden. Er hält auch engen Kontakt zu den Landesregierungen in Klagenfurt und Graz sowie zu den politischen Gremien in der slowenischen Region Koroška. Gut 15 Jahre nach Beendigung des leidigen Ortstafelstreits zwischen Kärnten und Slowenien sind die Beziehungen besser denn je. Wenn alles gut geht, wird es irgendwann sogar eine Art regionales Klimaticket geben, das auch für den nördlichen Teil Sloweniens gilt.

Über Grenzen hinaus denken

Salzmann geht es dabei nicht nur um ökologische Nachhaltigkeit. Wenn in ein paar Jahren der Semmeringtunnel eröffnet wird, braust der schnelle Zug bis nach Wien. Und dann wird St. Paul zwangsläufig zu einem Verkehrsknotenpunkt für die ganze Region. Umso wichtiger werden gute Anschlussverbindungen. „Ich möchte auf jeden Fall verhindern, dass wir von Autos zugeparkt werden“, sagt Salzmann. Dafür ist ein Ausbau des regionalen Öffi-Netzes entscheidend: Züge und Busse sollen auch für kürzere Strecken attraktiver werden als das Auto. Salzmann ist guter Dinge, dass sich hier eine grenzüberschreitende Lösung finden lässt – ähnlich wie jetzt schon zwischen Salzburg und Bayern.

Mehr Wohnraum durch Verdichtung

Freilich: In dieser Frage kann er nur Kontakte knüpfen und seine Argumente immer wieder vorbringen. Einen wirklichen Hebel hat er als Bürgermeister nicht. Wohl aber bei anderen Zukunftsthemen, über die in seiner Gemeinde entschieden wird. Die größte Herausforderung ist zweifellos die zu erwartende Vergrößerung der Bevölkerung. Dass es viel mehr ­Wohnraum geben muss, steht außer Frage. Zugleich will Salzmann aber die zusätzliche Bodenversiegelung auf ein Minimum reduzieren. Erst im Sommer 2023 gab es in der Gemeinde ein Jahrhunderthochwasser. Ganze Siedlungen mussten vorübergehend evakuiert werden, Teile der uralten Festungsmauer des Benediktinerstifts wurden von den Wassermassen praktisch weggeschwemmt. Bürgermeister Salzmann weiß aus eigener Erfahrung, was es bedeutet, wenn das Wasser nicht mehr versickern kann. Schon jetzt hat die Gemeinde trotz klammer Kassen Millionen in den Hochwasserschutz investiert, weitere Maßnahmen folgen in den kommenden Jahren.

Die gute Nachricht lautet: Durch die einzelnen Hochwasserschutzvorrichtungen wird die Schaffung von zusätzlichem Wohnraum erleichtert. Knapp fünf Hektar an bestehendem Wohnraum sollen durch Verdichtung erweitert werden. Und etwa gleich viel steht Stand heute als neues Bauland zur Verfügung – zum größten Teil im Besitz des Benediktinerstifts, mit dessen weltlicher Leitung der junge Bürgermeister im besten Einvernehmen steht.

Die schnelle Bahn stellt in St. Paul im Lavanttal vieles auf den Kopf

Wohnungen statt Einfamilienhäuser

Für die neuen Wohnräume gibt es seitens der Gemeinde strenge Auflagen: Der Schwerpunkt liegt auf verdichtetem Flachbau mit drei bis fünf Geschoßen. Es wird wohl auch neue Einfamilienhäuser geben, aber vor allem werden Wohnungen errichtet. Diese sollen dafür großzügig gestaltet werden. „In der Regel orientiert man sich bei 75 Quadratmetern. Bei uns sind es 100“, sagt Salzmann. Die Gemeinde will den Zuzüglern ein attraktives Angebot machen: ein gutes Leben im Grünen, mit optimaler Verkehrsanbindung zu den großen Ballungsräumen und vergleichsweise günstigen Mieten.

Politisch stehen die geplanten -Umwälzungen weitgehend außer Streit, im Gemeinderat ziehen alle Parteien an einem Strang, wenn es um die großen Entscheidungen für die Zukunft geht. Auch die Bevölkerung weiß Salzmann mehrheitlich hinter sich. Aber natürlich gibt es kritische Stimmen, vor allem vonseiten der älteren Generation, die um die dörfliche Identität fürchten. Manchmal wird Salzmann im Wirtshaus oder auf der Straße mit ganz realen Ängsten vor der Veränderung konfrontiert. Dann hilft nur Reden. Manchmal wird es aber auch ungut. Als er vor einiger Zeit wieder einmal für Gespräche in Slowenien war und ein Foto davon auf Facebook postete, kommentierte jemand: „Weißt du nicht, was deine Heimatgemeinde ist? Was hast du bei den Slowenen verloren?“ Salzmann überlegte eine Weile, dann schrieb er darunter: „Wir haben das Jahr 2025. Wir sind in der EU und pflegen freundschaftliche Beziehungen zu unseren Nachbarländern, mit denen wir einen gemeinsamen Wirtschaftsraum teilen.“ So sieht das auch der überwiegende Teil der Bevölkerung.

Technologie-Hotspot für die Energiewende

Fest steht aber: Das Leben in St. Paul wird sich gewaltig ändern, die Gemeinde wird internationaler werden. Dafür sorgt ein weiteres Großprojekt. Am Ortsrand wird – in Kooperation mit dem Klagenfurter Lakeside-Park – ein großer Technologiepark entstehen, in dem zur Dekarbonisieriung geforscht werden soll. St. Paul wird zu einem Hotspot der Grundlagenforschung zur Energiewende, mit Spitzenkräften aus der ganzen Welt. Früher oder später werden auch Menschen aus Indien, China oder Ghana das Ortsbild prägen. In St. Paul macht man sich schon jetzt darüber Gedanken, wie man die neuen Mitbürgerinnen und Mitbürger in das Gemeindeleben integrieren kann. Auf jeden Fall wird es für alle, die neu ankommen, ein ausführliches Onboarding-Programm geben, damit das Zusammenleben mit den Alteingesessenen von Anfang an möglichst reibungslos funktioniert. In der Bevölkerung gibt es Bedenken, aber wenig echte Ablehnung: Schon jetzt ist St. Paul nicht zuletzt durch das international renommierte Stiftsgymnasium eine ziemlich weltoffene Gemeinde.

Aber es gibt auch andere Sorgen, die sich nicht einfach vom Tisch wischen lassen. Etwa jene vieler Unternehmen, dass sich viele örtliche Facharbeiter durch die schnelle Verbindung einen Job in Graz suchen, wo die Löhne deutlich höher sind. Nur zu verständlich, meint Salzmann, ein gelernter Automechaniker. Auch ihn hat einst ein üppig bezahlter Job nach Graz verschlagen, zu Magna. Aber er ist wieder zurückgekehrt – um Bürgermeister zu werden in der vielleicht spannendsten Zeit, die St. Paul je erlebt hat.