Viele Menschen aus der Stadt kennen das gar nicht mehr: ein echter Sternenhimmel
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Wenn es mal wieder richtig Nacht wird

Das Thema Lichtverschmutzung beschäftigt immer mehr Gemeinden. In Brunnenthal zeigt ein Modellprojekt des Landes Oberösterreich, was mit moderner Technik möglich ist. Und in Steinbach am Attersee wird ein Sternenpark zur Attraktion für Menschen aus der Stadt.
von  Wolfgang Rössler , 10. Juni 2024

Bei einer Gemeinderatsklausur vor etlichen Jahren nannte jemand ein besonders absurdes Beispiel, das Nicole Eder seither nicht mehr aus dem Kopf geht. Und das geht so: Viele Menschen geben eine Stange Geld aus für Kugelleuchten im Garten, die die ganze Nacht über brennen. Dann wälzen sie sich abends im Bett, weil sie wegen der Helligkeit nicht einschlafen können. Am Ende ziehen sie die Rollläden runter. „Niemand hat zu dieser Zeit etwas von dem Licht“, sagt die Bürgermeisterin von Steinbach am Attersee. „Trotzdem kommt kaum wer auf die Idee, es einfach in der Nacht auszuschalten. Dabei wäre das doch das Naheliegendste.“

Zu viel Licht ist ungesund

Das Argument der Bürgermeisterin der oberösterreichischen Gemeinde klingt grundvernünftig. Es geht schließlich nicht nur um die Verschwendung von Energie und Geld. Sondern auch um einen gesunden Biorhythmus: „Der Tag hat nicht ohne Grund 24 Stunden“, meint sie. Es gebe eben einen natürlichen Kreislauf, für den Mensch wie Tier geschaffen seien. Und dazu gehöre eben auch die Abwesenheit von Helligkeit in der Nacht. „Wenn der Körper zu viel Licht bekommt, beeinflusst das den Hormonspiegel“, sagt Eder.

Das Schlafhormon Melatonin wird vor allem dann ausgeschüttet, wenn es dunkel ist. Wer zu wenig davon hat, wird auf Dauer fahrig, kann im schlimmsten Fall sogar depressiv werden. „Die künstliche Verlängerung des Tages kann fatale Auswirkungen auf die Menschen haben“, sagt Eder. Nur zur Klarstellung: Das sind keine esoterischen Theorien, das alles ist wissenschaftlich erwiesen. Ebenso wie die Auswirkungen allzu heller Nächte auf die Fauna: Fast zwei Drittel der heimischen Insekten sind nachtaktiv. Ihr massenhaftes Sterben in den letzten Jahren geht nicht zuletzt auch auf die steigende Lichtverschmutzung zurück.

Viele Leute aus der Stadt kennen gar keinen Sternenhimmel.

Nicole Eder, Bürgermeisterin

Die Schönheit des Sternenhimmels

Dieser hat man in Steinbach am Attersee nun den Kampf angesagt. Sichtbarstes Zeichen ist der erste, nach den Standards der „International Dark-Sky Association“ (IDA) zertifizierte Sternenpark, der in den Naturpark Attersee-Traunsee integriert ist. „Dort kann man die Nacht so richtig genießen“, sagt Eder. Mit ein wenig Glück (und astronomischem Vorwissen) sieht man dort sogar die Milchstraße. Der Sternenpark entwickelt sich langsam zu einer touristischen Attraktion: „Viele Menschen aus der Stadt kennen gar keinen richtigen Sternenhimmel“, sagt die Bürgermeisterin. „Aber auch die Einheimischen sind immer wieder verzaubert.“

Mit der Einrichtung verfolgt die Gemeinde Steinbach am Attersee freilich noch eine ganz andere Absicht. „Wir wollen Bewusstsein schaffen und bei den Menschen einen Denkprozess anregen“, sagt Eder. Es gehe ihr, beteuert sie, nicht um die Verteufelung künstlichen Lichts, ohne das unser Leben längst undenkbar wäre. Aber muss es wirklich immer so viel sein? Muss wirklich immer alles taghell erleuchtet sein – auch wenn die allermeisten Menschen schon längst schlafen?

Zur Person

Bürgermeisterin Nicole Eder hat der Lichtverschmutzung den Kampf angesagt.

Eders Antwort auf die Frage lautet wenig überraschend „Nein“. In der kleinen Gemeinde mit knapp mehr als 900 Einwohnerinnen und Einwohnern gibt es ein rigides Lichtmanagement. Keine Lampe soll umsonst leuchten; wo es geht, wird gedämmt oder abgedreht. Ein warmweißes Licht von 3.000 Kelvin sei absolut ausreichend, meint Eder. Das entspricht ungefähr der Helligkeit in einem gemütlichen Wohnzimmer.

Das Licht ist gedämpft, aber man kann alles erkennen. So kommt es, dass man in Steinbach nachts mit freiem Auge 6.000 Sterne sehen kann. Am anderen Ende des Attersees sieht man gerade einmal halb so viele. Zugegeben: Dort führt die Autobahn vorbei und die Bebauung ist dichter. Trotzdem ist Eder überzeugt: „Auch dort könnte man das Licht reduzieren.“ Sie will mit ihrer Gemeinde auch Vorbild für andere sein, Amtskolleginnen und Amtskollegen zum Nachdenken anregen.

Neues Gesetz gegen Lichtverschmutzung

Und das nicht nur in ihrem Heimatbundesland Oberösterreich, wo seit 1. Mai dieses Jahres eine neue Vorgabe für Gemeinden gilt. Die Betriebszeiten der kommunalen Lichtanlagen müssen exakt auf den tatsächlichen Bedarf abgestimmt werden. Die Lichtfarbe muss so gewählt sein, dass sie die Gesundheit der Menschen und die Natur möglichst schont. Und: Die Strahlrichtung der Leuchtkörper muss so gewählt sein, dass kein Licht unnötig verpufft.

Zur Person

Bürgermeister Roland Wohlmuth schlug bei einer neuen Förderung des Landes zu.

Geld sparen und das Klima schützen

Ein Bürgermeister, der diese in Österreich bisher beispiellose Regelung ausdrücklich begrüßt, ist Roland Wohlmuth. Seine Gemeinde Brunnen-thal war schon vor etlichen Jahren Vorreiterin in Sachen Lichteffizienz. „Man fragt sich als Bürgermeister ja immer wieder, wo man einerseits Kosten sparen und andererseits ökologischer sein kann“, sagt er. Beides mag manchmal ein Widerspruch sein. Nicht aber beim Thema Licht.

Schon vor sieben Jahren stolperte Wohlmuth über eine Information, die viele andere Ortschefs wohl einfach überlesen haben. Der damalige Umweltlandesrat und spätere Gesundheitsminister Rudolf Anschober suchte Test-gemeinden für ein ehrgeiziges Projekt gegen Lichtverschmutzung. „Das war damals noch fast kein Thema“, erinnert sich Wohlmuth. Letztlich meldeten sich nur vier Kommunen, eine davon war Brunnenthal. Vordergründig ging es zwar nur um die Umrüstung auf LED-Beleuchtung. Entscheidend war aber, welche neuen Lampen installiert wurden – und wie.

"Eine geniale Sache"

„Wunderwerke der Technik“, nennt Wohlmuth die modernen Leuchten, in denen ein kleiner Computer sitzt. Damit lässt sich der Leuchtkegel exakt definieren. „So ist es möglich, nur den Gehsteig zu bestrahlen, ohne den Wald dahinter zu erleuchten“, sagt Wohlmuth. Mehr noch: Sogar die Umrisse der örtlichen Kirche können ohne Streuverlust ausgeleuchtet werden. „Es sieht aus, als ob es eine Schablone gibt.“ Mindestens ebenso ausgetüftelt ist eine Lösung für schwach befahrene Straßen – gerade auch solche, die durch einen Wald führen. Zwei solcher Lichtstrecken wurden in Brunnenthal installiert. Im Normalfall schlummern die LED-Lampen und geben ein schwaches Licht ab, das die Tiere im Wald kaum stört.

„Sobald aber ein Auto in das Waldstück einfährt, erwachen die Lichter aus ihrem Schlummermodus und leuchten für kurze Zeit voll auf“, erzählt Wohlmuth. Möglich ist das, weil die einzelnen LED-Lampen der Lichtanlage per Funk verbunden sind und miteinander kommunizieren. Nach einer Weile fährt das Licht wieder herunter, in den Schlummermodus – bis das nächste Auto kommt. „Das ist einfach eine geniale Sache“, sagt der Bürgermeister.

Diese neuen Lampen sind Wunderwerke der Technik.«

Roland Wohlmuth, Bürgermeister

Der frühe Vogel fängt das Licht

Brunnenthal, eine kleinere Gemeinde mit knapp mehr als 2.000 Einwohnerinnen und Einwohnern im Bezirk Schärding, ist keineswegs besonders wohlhabend. Möglich wurde die innovative Lösung nur, weil die Landesregierung viel Geld dazubutterte. Die Projektierungskosten wurden zur Gänze übernommen, dazu kam eine Förderquote von rund 40 Prozent. Es hat sich für den Bürgermeister gelohnt, der gemeinsam mit dem Land etwas Neues versuchen wollte. Trotzdem musste die kleine Gemeinde ordentlich in die Kassa greifen – was wohl auch mit ein Grund war, warum viele andere dankend ablehnten. Abzüglich der Förderungen investierte man mehr als 200.000 Euro. Bei Einsparungen in der Höhe von rund 6.000 Euro pro Jahr wird es noch ein wenig dauern, bis sich die Investition amortisiert hat.

Geld allein ist nicht alles

Trotzdem schwärmt Bürgermeister Wohlmuth von den neuen Lichtanlagen: „Wir haben nun eine deutlich bessere Beleuchtung und außerdem einen Beitrag für die Umwelt geleistet“, sagt er. „Wenn ich immer alles gegenrechnen würde, dürfte ich auch keinen Kindergarten bauen.“ So sieht nicht nur er das. Alle entsprechenden Beschlüsse in Gemeinderat seien einstimmig gefallen, erzählt Wohlmuth. „Es gab da überhaupt keinen Zwist.“

Die kleine Kommune hat ihren Beitrag geleistet. Nun, meint Wohlmuth, seien andere am Zug. Etwa Supermärkte oder Möbelgeschäfte, deren Logos am Dach die ganze Nacht über hell erleuchtet sind: „Das muss wirklich nicht sein“, sagt der Bürgermeister. 

Das Problem Lichtverschmutzung

  • Taghell in der Nacht. Durch die vielen künstlichen Lichtquellen gibt es vor allem in Ballungsräumen keine Dunkelheit mehr.
  • Auswirkungen. Die fehlende Dunkelheit setzt dem Organismus zu, es kann zu Schlafstörungen und sogar Depressionen kommen. Auch das Risiko für gewisse Krebs- und Herzerkrankungen steigt. Viele nachtaktive Insekten sterben.
  • Kaltes Licht. Besonders kaltes Licht mit hohem Blauanteil ist auf Dauer ungesund. Daher sollte man am Abend auf bernsteinfarbene, warmweiße Lichtquellen setzen und die Intensität nach Möglichkeit dimmen. Das hilft später dabei, besser einzuschlafen.