So wahrt man die Würde von Menschen, die keinen anderen Ausweg sehen, als bei der Gemeinde um Geld zu bitten.
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ARMUT

Wenn Menschen Sie um Geld bitten

Die Zahl der Menschen unter der Armutsgrenze wird mit der Teuerung zunehmen. Was tun, wenn sie sich an die Gemeinde wenden, um ihre Rechnungen zu zahlen? Sozialexpertin Nadine Bliem hat die Antworten.
von  Wolfgang Rössler , 6. Oktober 2022

Waren Sie schon einmal in der misslichen Lage, um Geld bitten zu müssen? Etwa weil man beim Studium trotz Nebenjob und Stipendium gerade wirklich nicht in der Lage ist, die Miete pünktlich zu bezahlen oder ein besonderes Lehrbuch zu kaufen? In den meisten Fällen führt an einem Canossagang zu Eltern oder Großeltern kein Weg vorbei. Mitunter kommen dann höchst unangenehme Fragen: War man womöglich zu oft auf Partys, hat man zu oft Geld für Dinge ausgegeben, die nicht dem Lernerfolg dienten, sondern bloß dem persönlichen Spaß? Und überhaupt: Wie sieht es mit dem Notendurchschnitt aus?

Und jetzt stellen Sie sich vor, Sie sind nicht 23 Jahre alt und voller Lebensfreude. Sondern Sie sind zum Beispiel eine alleinerziehende Mutter, die sich um zwei Kinder kümmern muss, die kein Geld mehr aus dem Bankomaten ziehen kann und der womöglich die Delogierung droht, wenn sie nicht bald die überfällige Miete bezahlt. Sie hat keine Eltern oder Großeltern, die sie anpumpen kann. In ihrer Not sieht sie keine andere Möglichkeit, als ins Gemeindeamt zu gehen und um einen Termin bei Ihnen zu bitten.  Sie sind jetzt die letzte Hoffnung dieser Mutter. Wie gehen Sie damit um?

Alleinerziehende Mütter sind besonders oft von Armut bedroht.

Oft sind es alleinerziehende Mütter 

Das Beispiel ist keineswegs aus der Luft gegriffen. Nadine Bliem von der Volkshilfe Oberösterreich hat viele solcher oder ähnlicher Fälle erlebt. Sie bietet Menschen an oder unter der Armutsgrenze eine kostenlose Sozialberatung an, hilft bei Behördenwegen, vernetzt Betroffene mit anderen Einrichtungen und wenn es nicht anders geht, kann sie im Notfall Menschen auch kurzfristig finanziell aus der Patsche helfen. „Zu mir kommen überdurchschnittlich viele alleinerziehende Mütter“, sagt sie. Oft haben sich die Väter aus dem Staub gemacht, zahlen keine Alimente oder viel zu wenig, damit die Kinder einigermaßen über die Runden kommen. Aber natürlich gebe es auch alleinerziehende Männer oder Familienväter, die völlig verzweifelt in ihr Büro kommen. Oder auch Arbeitslose, Pensionistinnen und Pensionisten. Vielen würde man es auf den ersten Blick nicht ansehen, dass sie jeden Euro zwei Mal umdrehen müssen und trotzdem zu wenig Geld haben.

Was rät Bliem Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern, die zum ersten Mal ganz persönlich mit solchen sozialen Härtefällen konfrontiert sind? Wie wahrt man dabei die Würde des Gegenübers? „Man muss auf jeden Fall vorbehaltlos zuhören“, betont die Expertin. Auf gar keinen Fall sollte man in einer solchen Situation belehrend oder gar vorwurfsvoll wirken: „Viele Menschen haben immer noch diese Idee im Kopf, dass jeder seines eigenen Glückes Schmied ist“, so Bliem. „Aus meiner Erfahrung heraus kann ich sagen: Das ist in der Realität meist nicht der Fall. Die Gründe für Armut sind bunt und vielfältig. In den seltensten Fällen haben sie etwas mit Schuld zu tun.“

Man muss den Menschen in erster Linie vorbehaltlos
zuhören.

Nadine Bliem, Volkshilfe Oberösterreich

Nichts geben auf das Gerede im Dorf

Zuhören, nicht urteilen: gerade auch, wenn man die betroffene Person kennt und glaubt, Einblick zu haben. War es nicht so, dass die Nachbarn immer schon geredet haben, wie er oder sie sich einen großen neuen Fernseher gekauft hat, obwohl sie eh kein Geld haben? Erstens sollte man als Gemeindeoberhaupt auf solche Gerüchte ohnehin nichts geben. Stimmt es? War es wirklich ein großer, neuer Fernseher oder ein kleiner, alter, womöglich ein Geschenk? Und selbst wenn: Was bringt es schon, jetzt über mögliche selbst verschuldete Gründe für die finanziellen Probleme zu reden? Tatsache ist, dass vor Ihnen ein Mensch steht, der verzweifelt ist und nicht mehr weiter weiß. „Man darf in dieser Situation auf gar keinen Fall Schuldzuweisungen machen, sondern sollte gemeinsam nach einer Lösung suchen“, sagt Bliem.

Emotionen sind natürlich

Wenn es um kommunale Gebühren oder die offene Miete für eine Gemeindewohnung geht, sollte sich eine unbürokratische Lösung finden lassen. Dazu gibt es vielleicht einen Notfallfonds, mit dem die Gemeinde unkompliziert helfen kann, eine überfällige Rechnung zu begleichen. Aber in der Regel ist das Budget für solche Töpfe mehr als begrenzt. Und angesichts der Teuerungen bei Heiz- und Stromkosten ist mit einem Anstieg von Härtefällen zu rechnen. Gut möglich also, dass Sie beim besten Willen nicht in der Lage sind, mit Geld zu helfen. Was dann? „Ehrlich währt am längsten“, sagt Bliem. „Ich gehe ohnehin davon aus, dass jeder Bürgermeister und jede Bürgermeisterin helfen möchte. Wenn die Mittel fehlen oder die Richtlinien das nicht zulassen, muss man das erklären.“

Eine Vorwarnung: Solche Absagen können Emotionen auslösen, auf die man nicht vorbereitet ist. Verzweiflung, Tränen, es kann auch Wut sein. Vielleicht gehören solche Situationen zu den zwischenmenschlich schwierigsten, mit denen man als Gemeindeoberhaupt konfrontiert sein kann. Was tun? „Verständnis zeigen, zuhören“, sagt Bliem.

Mit der richtigen Beratung lässt sich fast jedes Problem lösen.

Es gibt fast immer eine Lösung

Und dann versuchen Sie, gemeinsam eine Lösung zu finden. Denn das ist die gute Nachricht: Es gibt genug Hilfsangebote auf Bezirks-, Landes- und Bundesebene, dazu Dutzende Organisationen, die notfalls auch schnell mit Geld helfen. Neben der Volkshilfe gehören dazu etwa Caritas, Hilfswerk und Dutzende andere. „Es gibt in Österreich fast keine finanzielle Situation, die so schlimm ist, dass man keine Lösung findet“, sagt Bliem. Die Herausforderung sei eher, sich im Dschungel zurechtzufinden. Und hier kann die Gemeinde mit ein wenig Vorbereitung sehr wohl eine Hilfestellung geben.

Der wichtigste Tipp: eine Liste mit allen wichtigen Hilfseinrichtungen, die man vielleicht auch gemeinsam kontaktieren kann.

Wie man schnell hilft

  • Notfalltopf. In vielen Gemeinden gibt es einen Notfallfonds, mit dem unbürokratisch geholfen werden kann. Aber meist sind die Mittel begrenzt, die Richtlinien mitunter streng.
  • Schulden bei der Gemeinde. Wenn kommunale Gebühren oder auch die fällige Miete für die Gemeindewohnung zum Problem werden, sollte eine Stundung oder gar Reduzierung der Schuld möglich sein.
  • Würde wahren. Menschen, die sich in höchster Not an die Gemeinde wenden, sind in einer Ausnahmesituation. Auf gar keinen Fall sollte man Vorwürfe machen. Am wichtigsten ist oft die Gabe, zuhören zu können.
  • Hilfseinrichtungen. Auf Bezirks-, Landes- und Bundesebene gibt es viele Hilfsangebote, dazu kommen Hunderte Vereine. Oft ist Unwissenheit über das Angebot das Problem, andere mögen auch schlicht überfordert sein. Da kann die Gemeinde Orientierung geben. Hier finden Sie eine Liste mit den wichtigsten Anlaufstellen für Menschen.